Türkei und Jordanien diskutieren Besetzung syrischer Gebiete
Türkische und jordanische
Streitkräfte, darunter mehrere Zehntausend Mann starke Bodentruppen, bereiten
sich laut Medienberichten vom Dienstag auf den Einmarsch in Syrien vor, um
militarisierte Pufferzonen im Norden und Süden des Landes zu errichten.
Jordanien würde ein Gebiet
besetzen, das große Teile der südsyrischen Provinzen Daraa und Suweida sowie
die Stadt Daraa umfasst. Die türkische Zone würde den Norden Syriens und das
Grenzgebiet zur Türkei umfassen. Der türkische Präsident Reccep Tayyip Erdogan
hatte diesen Plan ausdrücklich damit begründet, dass die Bildung eines
kurdischen Staates in dem Gebiet „um jeden Preis“ verhindert werden müsse.
Die Financial Times und andere Zeitungen berichteten
über Jordaniens mögliche Operation, aber tatsächliche Truppenbewegungen über
die Grenze wurden nicht bestätigt. Amerikanische Regierungsvertreter
dementierten, dass Washington einer Intervention türkischer oder jordanischer
Truppen zugestimmt habe.
Türkischen Medienberichten
zufolge hatte Erdogan am Montag den Vorsitz bei einem nationalen
Sicherheitstreffen geführt, bei dem die Entsendung von 18.000 türkischen
Soldaten zur Sicherung von Gebieten entlang der syrisch-türkischen Grenze
beschlossen wurde.
Das geplante Vorgehen der
Türkei wäre eine direkte Reaktion auf die jüngste Eroberung der syrischen
Grenzstadt Tell Abyad durch die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten
(YPG) am 15. Juni. Die YPG ist der bewaffnete Arm der Partei der Demokratischen
Union (PYD). Diese wiederum ist mit der türkischen PKK verbündet, die seit
langer Zeit einen Guerillakrieg gegen die türkische Regierung führt, um einen
eigenständigen kurdischen Staat zu errichten.
Die Teilung der souveräne Staat Syrien durch USA |
Die Eroberung von Tell
Abyad eröffnet die Möglichkeit, ein zusammenhängendes, kurdisch regiertes
Gebiet im Norden und Nordosten Syriens zu schaffen, das sich von Kobane –
welches im letzten Winter im Zentrum von Kämpfen zwischen kurdischen Truppen
und dem Islamischen Staat stand – über Tell Abyad bis zu der vorwiegend von
Kurden bewohnten Provinz Hazakah erstrecken würde.
Die türkische Regierung
betrachtet die Entstehung eines solchen Gebietes in Syrien, das mit der
autonomen Region Kurdistan im Nordirak verbunden wäre, als den nächsten Schritt
zur Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates, der auch Gebiete der Türkei
und des Iran für sich beanspruchen würde. In den vier Staaten leben insgesamt
etwa 30 Millionen Kurden als Minderheiten.
Eine türkische Intervention im Norden Syriens würde die Behauptungen der
US-Regierung, es ginge dem amerikanischen Imperialismus und seinen Verbündeten
hauptsächlich darum, das Wachstum des IS und des islamistischen Terrorismus
einzudämmen, als Lügen entlarven. Die türkische Regierung unterstützt den IS
stillschweigend, indem sie es radikalen Islamisten erleichtert, über ihr
Staatsgebiet nach Syrien zu reisen. Nach der Eroberung von Tell Abyad erklärte
die regierungsnahe Zeitung Sabah auf der Titelseite offen:
„Die [kurdische] PYD ist gefährlicher als der IS.“
Das Ziel der vermeintlichen
Intervention Jordaniens wäre die Errichtung einer Pufferzone in den
südsyrischen Provinzen Suweida und Daraa. Hier kämpft die Regierung des
syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gegen die einzige nennenswerte
Rebellenorganisation, die weder mit dem IS, noch mit der al-Nusra-Front, der
syrischen Sektion von al-Qaida, verbündet ist.
Angesichts der engen Beziehungen zwischen dem jordanischen Militär und
dem Pentagon würde eine jordanische Intervention die Erlaubnis der USA
erfordern. Wie die Financial Times berichtete, wären an der
Intervention sowohl reguläre jordanische Truppen als auch Syrer beteiligt, die
in CIA-Trainingslagern in Jordanien ausgebildet werden. Diese Operation
ist momentan die größte der CIA und kostet laut Presseberichten über Anhörungen
vor dem Kongress in Washington eine Milliarde Dollar bei einem Etat des
Dienstes von 15 Milliarden Dollar.
Der Sprecher des
Außenministeriums, Mark Toner, wollte die Berichte über eine geplante
Intervention der Türkei oder Jordaniens in Syrien nicht bestätigen. Am Montag
erklärte er bei einer Pressekonferenz, es gebe „keine handfesten Beweise“ für
Operationen zur Schaffung von Pufferzonen. Er deutete allerdings an, was das
wahre Ziel solcher Aktionen wäre, als er sagte, eine Intervention würde
bedeuten, dass die Regionalmächte die Assad-Regierung nicht mehr für
überlebensfähig hielten.
Er erklärte: „In dem
Moment, in dem man eine humanitäre Schutzzone einrichtet, bringt man
Verhandlungen ins Rollen, Syrien in mehrere Gebilde aufzuspalten. Wir würden
damit den Auftakt zur Auflösung des syrischen Nationalstaates geben. Natürlich
sagen viele, dass das bereits beschlossene Sache ist.”
In Wirklichkeit werden die
neuen „Schutzzonen“ und „humanitären“ Gebiete als Aufmarschgebiete für weitere
Militäroperationen in ganz Syrien dienen, deren Ziel der Sturz von Assad ist.
Die neuerlichen Militärinterventionen
stellen einen offenen Verstoß gegen Syriens Souveränität dar, der nicht
einmal mehr mit dem Feigenblatt einer UN-Resolution bemäntelt wird.
Ein solches Vorgehen wäre eine
drastische Eskalation des Krieges in Syrien, der vor etwa vier Jahren vom
US-Imperialismus und seinen regionalen Verbündeten angezettelt wurde.
Bisher hat er ca. 250.000 Todesopfer gefordert und etwa zwölf Millionen
Menschen zur Flucht gezwungen.
Da die US-Regierung Assad
nicht alleine mit Stellvertreterkräften im Land stürzen konnte, erwägt sie
einen direkten Einmarsch von externen Streitkräften, um große Teile des Landes
zu besetzen, die später von amerikanischen- und Nato-Truppen übernommen würden.
Die herrschende Elite
Amerikas hegt seit Jahrzehnten Pläne für eine imperialistische Neuaufteilung
Syriens und des ganzen Nahen Ostens.
Die amerikanischen Eliten
nutzten die Auflösung der Sowjetunion aus, um ihre seit langem bestehenden
Pläne umzusetzen, in ganz Afrika, Asien und dem Nahen Osten erneut koloniale
Herrschaftsformen durchzusetzen.
Im Laufe der letzten Woche
hatten führende Vertreter des amerikanischen Verteidigungsministerium, der
Militärführung und des Außenministeriums erklärt, Washington plane die
Schaffung neuer Kleinststaaten, die angeblich von Stammes- und religiösen
Kräften regiert werden sollten, um im Irak und Syrien wieder für stabile
Verhältnisse zu sorgen.
Verteidigungsminister
Ashton Carter und General Martin Dempsey, der Vorsitzende des Generalstabs, hatten
Mitte Juni bei einer Anhörung vor dem Kongress angedeutet, die Strategie der
USA beruhe mittlerweile auf der Annahme, dass „der Irak als einheitlicher
Staat“ vermutlich nicht überleben werde.
Washington bereitet sich
laut Dempseys Aussagen darauf vor, ohne Rücksprache mit der Zentralregierung
sunnitische Stammesmilizen als Stellvertreterkräfte für eine künftige
politische Ordnung anzuwerben.
Letzte Woche hatte der
stellvertretende Außenminister Anthony Blinken deutlich gemacht, dass die
Aufspaltung des Irak nur ein Teilaspekt der Pläne der USA sei, die politische
Landkarte im ganzen Nahen Osten umzugestalten.
Blinken erklärte letzte
Woche bei einer Rede vor dem Center for a New American Security (CNAS): „Der
ganze Nahe Osten macht eine Periode grundlegender Umwälzungen durch. Die ganze
Ordnung in der Region steht am Rande des Zusammenbruchs.“
Blinken sagte, die USA
müssten angesichts der „historischen Umbrüche“ in der Region die
„Dezentralisierung der Macht“ und die „politische Annäherung“ an subnationale
Akteure unterstützen.
Blinkens Äußerung macht
deutlich, dass die Kampagne zur Neuaufteilung und Zersplitterung der Region
unter Führung der USA Teil einer Kampagne ist, mit der Washington auf seine
beiden wichtigsten Rivalen China und Russland Druck ausüben und sie letztlich
zerschlagen will. Nur kurz zuvor hatte Blinken China und Russland vorgeworfen,
sie würden versuchen, im Südchinesischen Meer, bzw. der Ostukraine „einseitig
und gewaltsam den Status Quo zu ändern“.
Die Brookings Institution
veröffentlichte am Dienstag eine Abhandlung mit dem Titel „Die Dekonstruktion
Syriens: Eine neue Strategie für Amerikas hoffnungslosesten Krieg“, in der
detailliert beschrieben wird, wie sich diese neokoloniale Strategie auf Syrien
anwenden lässt.
Die Veröffentlichung des
Gutachtens fiel mit den Meldungen über die geplante Einrichtung der neuen
„Schutzzonen“ in Syrien durch die türkischen und jordanischen Streitkräfte
zusammen.
Das Brookings-Gutachten
argumentiert, dass eine „umfassende Lösung auf nationaler Ebene“ nicht mehr
möglich sei und fordert die Schaffung von „autonomen Zonen“.
„Der einzige realistische
Ausweg wäre ein Plan, der darauf hinausläuft, Syrien zu zerteilen“, heißt es in
dem Gutachten. Die USA und ihre Verbündeten sollten „innerhalb von Syrien Regionen
mit lebensfähigerer Sicherheit und Regierung schaffen“.
Weiter heißt es: „Die
Strategie könnte zur Schaffung einer Art 'Flickenteppich' weiterentwickelt
werden, bei dem die diversen lokalen Regierungen zu einem größeren und
integrierteren Gebilde zusammengefügt würden.“
Das Gutachten erklärt, dass
dieses „konföderale Syrien“ aus „hochgradig autonomen Zonen“ bestehen und
militärisch durch die Stationierung von Nato-Truppen in den neu geschaffenen
Besatzungszonen unterstützt werden würde. Unter anderem würden „multilaterale
Unterstützungsteams“ stationiert werden, deren Grundlage „Spezialkräfte und
Luftabwehr“ sein sollten.
„Die frühere Zusammenarbeit
mit extremistischen Elementen des Aufstandes würde an sich noch keine
politische Last darstellen“, heißt es weiter in dem Gutachten. Das bedeutet,
dass die extremistischen bewaffneten Gruppen, die als Stellvertretertruppen der
USA gegen die Assad-Regierung gekämpft haben, bei der neuen Aufteilung Syriens
nicht leer ausgehen werden.
Von Thomas Gaist
2. Juli 2015
2. Juli 2015
Quelle: https://www.wsws.org/de/articles/2015/07/02/syri-j02.html
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